Der Kampf für die Interessen unserer Mandanten wird von mehreren Säulen getragen.
Auf nicht alle davon haben wir unmittelbaren Einfluss. Wir können entschlossen sein, wir können fachlich brillieren und uns fortbilden, wir können unsere „soft skills“ einsetzen und gut verhandeln und wir können aus den gemeinsamen Erfahrungen schöpfen.
Was wir – aus guten Gründen – nicht können ist, den eigentlichen Rahmen für unsere Arbeit zu setzen: das Arbeitsrecht.
In einem Wahlkampf, der vergleichsweise stark auf „Kanzlerkandidaten“ fokussiert ist, kann man als Bürger leicht vergessen, dass wir keinen Kanzler wählen. Die Bundesrepublik ist keine Präsidialdemokratie. Wir wählen das Parlament! Dieses wählt den Kanzler. Die wichtigste Aufgabe des Parlamentes ist es aber, die Gesetze zu geben.
Die Gesetze – auch das Arbeitsrecht – können nur so gerecht sein wie die politischen Anliegen und Ziele derer, die sie machen. Diejenigen, die die Gesetze machen, sind nur so mächtig, wie wir Bürger sie machen.
Wir Bürger haben wiederum, jeder individuell, verschiedene Interessen. Wesentliche Interessen sehr vieler Bürger sind an den Status als Arbeitnehmer geknüpft. Im Juli 2021 waren saison- und kalenderbereinigt rund 44,84 Millionen Erwerbstätige mit Wohnsitz in Deutschland registriert. Millionen Rentner waren Arbeitnehmer, Millionen Schüler werden es sein.
Als Arbeitnehmer hat der Bürger ein Interesse an einem guten Einkommen, das ihm Perspektive gibt. Dies betrifft den Mindestlohn. Es betrifft die Frage, welche Tarifverträge von der Regierung für allgemeinverbindlich erklärt werden und wie gut diese sind. Es betrifft die Frage, wie Zeitarbeiter entlohnt werden müssen und wo der Sozialstaat eingreift, damit nicht jeder Job akzeptiert werden muss, um nicht auf der Straße zu stehen.
Als Arbeitnehmer hat der Bürger ein Interesse an Freizeit. Freizeit bedeutet auch Freiheit. Tarifverträge und das Arbeitszeitgesetz, aber auch das Bundesurlaubsgesetz schützen die Freiheit.
Als Arbeitnehmer hat der Bürger ein Interesse an Sicherheit. Das Kündigungsschutzgesetz, die Begrenzung von Befristungen und die klare Abgrenzung von Arbeitsverträgen und Werkverträgen müssen gegen immer mehr Unsicherheit in Stellung gebracht werden.
Natürlich hat jeder Einzelne auch andere Interessen. Er hat ein Interesse am Schutz seiner Lebensumwelt. Er hat Interesse an einer bezahlbaren Wohnung (obwohl auch diese Frage wieder am Erwerbseinkommen hängen kann). Er hat auch „weichere“ Interessen, kulturelle oder religiöse Vorstellungen in die eine oder andere Richtung und andere Anliegen an die Politik.
Wenn sich aber mehr als 45 Millionen Menschen des Umstandes unmittelbar bewusst werden würden, dass zentrale Interessen an ihren Status als Arbeitnehmer geknüpft sind und nach ihren zentralen Interessen wählen würden – dann wäre unsere Arbeit einfacher. Und diese Republik wäre eine andere, gerechtere.
In diesem Sinne: Bitte lesen Sie die Parteiprogramme, auch zur Arbeitsmarktpolitik und zu Arbeitnehmerrechten. Schauen Sie, wer Sie überzeugt. Inhaltlich und nicht durch ein gewinnendes Lächeln vom Wahlplakat herunter. Bitte treffen Sie Ihre Wahl. Und bitte gehen Sie an die Urnen und nutzen Sie Ihre Macht als Bürger.
(zur besseren Lesbarkeit wurde das generische Maskulinum verwendet; gemeint sind alle Geschlechter)
Eike Schölgens
Rechtsanwalt