Kann ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer kündigen, weil er so seinen Gewinn steigern will?

Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes lautet:

„Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“

Diese Formulierung war umstritten. Mit „Recht“ ist die Idee der Gerechtigkeit angesprochen, der sich Gesetze entfremden können. Das Grundgesetz versöhnt Gesetz und Recht, weil es selbst die zentralen Gerechtigkeitsanforderungen für das Gesetz verbindlich macht (Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl., Art. 20 Rn. 103). Die Idee der Gerechtigkeit wirkt so bei der Anwendung der Gesetze durch Gerichte, die ungeachtet der Bindung an die geschriebenen Rechtsnormen stets zugleich der Gerechtigkeit verpflichtet bleiben (Sachs, aaO, Rn. 104).

Was ist nun eine gerechte Gesellschaft? Sind Kündigungen von Arbeitnehmern zum Zwecke der Gewinnsteigerung zulässig?

  • 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz lautet:

„Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis … länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.“

Jetzt könnte man die Antwort leicht geben, indem man Gewinnsteigerungen als unsozial ansieht. Gegenstand dieser Bewertung ist nicht der Gewinn, sondern die Steigerung des Gewinns.

Um eine gerechte Gesellschaft zu erreichen, fordert John Rawls neben den Grundfreiheiten wie Meinungs-, Religions-, Rede- und Versammlungsfreiheit auch einen Hebel, die Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft auszubalancieren. Dazu entwickelte er das Unterschiedsprinzip. Danach ist soziale oder wirtschaftliche Ungleichheit nur dann gerecht, wenn sie zum Vorteil der am wenigsten Begünstigten in einer Gesellschaft beiträgt.

Wenn ein Arbeitgeber eine Fabrik baut, schafft er Arbeitsplätze und sorgt damit für die Lebensgrundlage mehrerer Familien. Dabei kann er seine Kosten von den Einnahmen abziehen, sodass ein (steuerpflichtiger) Gewinn nur dann entsteht, wenn er mehr Einnahmen erzielt als er Kosten hat. Der Arbeiter profitiert davon, auch wenn der Arbeitgeber mehr verdient als er. Der Arbeiter kann ohne eigenes unternehmerisches Risiko leben; durch das Verwerten seiner Arbeitskraft. Diese wirtschaftliche Ungleichheit (dem Arbeitgeber gehören die Produktionsmittel, die er von seinen unversteuerten Einnahmen aufbauen konnte; der Arbeitnehmer erhält nur Geld zum Leben, wenn er arbeitet) ist gerecht, solange sie jedermann zum Vorteil gereicht. Umgekehrt wäre es, wenn der Arbeitgeber die Mittel nutzte, die Arbeitnehmer zu benachteiligen, indem er beispielsweise massiv Stellen abbaut, um noch mehr Profit zu machen. Diese Handhabung wäre ungerecht.

Auf dieser Grundlage ist für mich die Frage nach der sozialen Rechtfertigung von Kündigungen zum Zwecke der Gewinnsteigerung zu beantworten. Grundsätzlich sind diese Kündigungen unwirksam. Ausnahmen sind denkbar, erfordern aber einen konkreten Sachverhalt, der eine andere Wertung als gerecht erscheinen lässt.

Die Überprüfung von Kündigungen zum Zwecke der Gewinnsteigerung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes funktioniert leider nicht so, wie oben dargestellt. Vielmehr postuliert das Bundesarbeitsgericht eine unternehmerische Freiheit, in die die Rechtsprechung nur ausnahmsweise eingreifen könne. „Der Arbeitgeber ist – von Fällen der Willkür und des Missbrauchs abgesehen – frei, die betrieblichen Abläufe so zu organisieren, wie er es für zweckmäßig hält. Das dadurch beschriebene betriebliche Erfordernis berechtigt ihn zur Auflösung oder Umgestaltung der vorhandenen Arbeitsverhältnisse“ (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.09.2005 – 2 AZR 155/05). Diese Rechtsprechung entspricht nach meiner Ansicht weder der gesetzlichen Regelung noch der Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht. Gleichwohl wird sie von den Arbeitsgerichten ständig angewandt.

Wenn man für Arbeitnehmer gegen betriebsbedingte Kündigungen klagen und diese Klagen gewinnen will, muss man die Argumentation des Bundesarbeitsgerichtes vor Augen haben. Solche Prozesse können für Arbeitnehmer gewonnen werden, allerdings bislang nicht mit der hier dargestellten Argumentation von sozialer Gerechtigkeit.

Rolf Schaefer
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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