Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 11.6.2020 – 2 AZR 442/19) hat die Lage von schwerbehinderten Arbeitnehmern erschwert. Bei fristlosen Kündigungen prüfen die Arbeitsgerichte jetzt nicht mehr, ob der Arbeitgeber die in § 626 Abs. 2 S. 1 BGB vorgeschriebene Frist eingehalten haben. Sie überlassen diese Prüfung den Integrationsämtern und geben damit ihre Verantwortung ab.
Das Integrationsamt, von dem das Bundesarbeitsgericht nun die Prüfung erwartet, ob der Arbeitgeber diese Vorschrift beachtet hat, hat aber nur zwei Wochen Zeit für eine Entscheidung, § 174 Abs. 3 SGB IX. Diese kurze Zeit für eine behördliche Entscheidung beginnt schon mit dem Eingang des Antrags vom Arbeitgeber beim Integrationsamt. Wenn das Integrationsamt noch Zeit zur Anhörung des Arbeitnehmers und zur Aufklärung des Sachverhaltes braucht oder einfach nicht so schnell ist, gilt seine Zustimmung als erteilt, § 174 Abs. 3 S. 2 SGB IX.
Wenn man selbst den Gesetzestext liest, kann man denken, dass man als schwer behinderter Mensch vom Gesetzgeber und vom Integrationsamt und vom Bundesarbeitsgericht geschützt wird. Tatsächlich ist das aber nicht so. Die Rechtsprechung hat diesen Schutz ausgehöhlt.
Dass der schwerbehinderte Mensch einen Monat Zeit hat, um gegen die Entscheidung des Integrationsamtes Widerspruch einzulegen, ist trügerisch.
Denn der schwer behinderte Arbeitnehmer hat weiterhin nur drei Wochen Zeit, gegen eine fristlose Kündigung vor dem Arbeitsgericht zu klagen. Das ergibt sich aus § 13 Kündigungsschutzgesetz i.V.m. § 4 Kündigungsschutzgesetz. Wenn diese Frist versäumt wird, gilt die fristlose Kündigung als wirksam, egal wie offensichtlich unwirksam sie eigentlich ist.
Aus jahrzehntelanger Tätigkeit als Arbeitsrechtler kann ich nur jedem raten, frühzeitig anwaltliche Unterstützung zu suchen. Im Regelfall ist ein Bruttomonatsgehalt viel höher als die anwaltlichen Kosten, die zudem noch steuerlich geltend gemacht werden können, wenn nicht ohnehin eine Rechtsschutzversicherung eintreten muss. Auch um die Eintrittspflicht Ihrer Rechtsschutzversicherung kümmern wir uns.
Bei einer fristlosen Kündigung kommen regelmäßig Nachteile bei der Bundesagentur (Sperrzeit, verkürzte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes) hinzu, wenn gegen eine fristlose Kündigung nicht rechtzeitig Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben wird.
Arbeitnehmer in Deutschland suchen die Schuld oft bei sich, wenn sie eine fristlose Kündigung bekommen. Auf Arbeitgeberseite ist eine fristlose Kündigung häufig nur ein Trick, wenn der Arbeitgeber weiß, dass er keinen Kündigungsgrund hat. Der Arbeitgeber hofft darauf, dass er den Arbeitnehmer einschüchtern kann oder dass der Richter sich zunächst denkt, „irgendetwas wird schon dran sein.“
Die gesetzliche Vorschrift in § 626 Abs. 2 S. 3 BGB, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist auf Anforderung den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitzuteilen, bleibt in der Praxis wirkungslos. Es gibt keine Sanktion für den Arbeitgeber, wenn er diese Frist nicht beachtet und dieses Recht des Arbeitnehmers einfach nicht erfüllt.
Arbeitnehmer müssen sich selbst um ihr Recht kümmern. Um in solchen schwierigen Situationen schnell, umfassend und angemessen unterstützen zu können – dafür sind wir da. Wenn Sie eine fristlose Kündigung bekommen könnten oder wenn Sie die schriftliche Kündigung sogar schon in den Händen halten, dann kommen Sie so schnell es geht.
Rolf Schaefer
Fachanwalt für Arbeitsrecht